Dienstag, 23. Januar 2018

Wenn ein "Weiter so" ohne Alternative ist

Wer glaubt, Berichte aus Krisengebieten seien frustrierend und desillusioierend, der oder die sollte sich einmal den Wirtschaftsteilen überregionaler Medien widmen. Da muss es gar nicht die FAZ sein, oder auch die NZZ, beide mit einem eher wirtschaftsfreundlichen Profil versehen. Es genügt die Lektüre bei den Öffentlich-Rechtlichen.

Bei der ARD-Börse zum Beispiel wird äußerst ausführlich über wirtschaftliche Entwicklungen berichtet. Dabei wird deutlich, wie unhinterfragt das Subsystem Wirtschaft existiert und wie weit entfernt von einer echten Reflexion unserer Lebensverhältnisse wir mittlerweile sind.

Bei Konflikten wird (zumindest am Anfang, bevor sie aus dem öffentlichen Interesse verschwinden) oft nach den Ursachen, noch Strategien zur Lösung und den Wegen nach einem nachhaltigen Frieden gefragt. Geht es um Wirtschaftsthemen, stellt sich Berichterstattung meist so dar:



Themen dieser Art, egal ob Euro, Zinspolitik, Binnennachfrage, oder Exportorientierung sind so komplex, dass sie ohnehin für viele Menschen uninteressant sind. Und wenn sie behandelt und gelesen werden, dann geht es um einen eindeutig abgegrenzten Raum, in dem eine Kontroverse geführt wird.

Hier also: Was sagt der starke Euro aus? Ist der starke Euro eine Belastung? Wie reagieren die AnlegerInnen (zu denen man sich rein der Rhetorik der allgemeinen Berichterstattung und den Empfehlungen für die Altersvorsorge wohl zählen soll, angesichts der Tatsache, dass man ca. 14 Prozent der deutschen Bevölkerung dazuzählt (und dies noch stark sozial geprägt ist) aber zumeist nicht kann)?

Man liest weiter und stößt auf Absätze, die die wirtschaftliche Entwicklung scheinbar mit politischen und gesellschaftlichen Vorgängen in Beziehung setzen:


Doch die zeigen allzuoft, dass sich der Aktienmarkt völlig unbeeindruckt von (gesellschaftlichen) Negativentwicklungen gibt. Oder Gewinne nicht hoch genug ausfallen und der Kurs trotz Rekordzahlen sinkt.

Bei Berichten dieser Art ist kein Platz zu fragen: Wo sind die Grenzen des Wachstums? Wer profitiert eigentlich von Entwicklungen, die sich teilweise von der Realwirtschaft völlig abkoppeln? Widerspricht diese Form des Wirtschaftens nicht unseren ordnungspolitischen Vorstellungen und den Wünschen der Menschen nach einer gerechten und solidarischen Gesellschaft?

Nun muss nicht jeder Artikel das ganz große Rad drehen. Doch angesichts der Tatsache, dass diese Fragen ja keineswegs neu sind, sondern bereits von den "68ern" gestellt wurden, erscheint dieser blinde Fleck kaum nachvollziehbar. Die hohen Kosten eines primär technologisch gedachten Fortschritts und die Logik der Externalisierung von Kosten, welche die Folgen unseres Konsums verschleiern, sollten eigentlich auch Konsequenzen für die mediale Auseinandersetzung haben. 

Doch wenn nirgendwo der Kapitalismus grundsätzlich in Frage gestellt, noch "Kritik am bestehenden Gesellschaftssystem in der Sprache kollektiver sozialer Rechte formuliert wird", wie Birgit Mankopf aktuell schreibt (S.88), dann läuft der Diskurs aus Sicht vieler Menschen ins Leere.

Das Klicken durch die Wirtschaftsmeldungen offenbart dabei eine kaum zu ertragende Hilflosigkeit. Noch mehr als bei Kriegen und Krisen irgendwo auf der Welt, ist man unmittelbarer Teil des Systems (nicht, dass wir nicht auch bei Kriegen und Krisen aufgrund unserer interdependenten Welt eine Rolle spielen, sie ist aber weniger sichtbar). Man kauft, man verkauft, man ärgert sich über "die da oben", würde aber doch auch gerne dazugehören. Man lehnt die Absurdität des Aktienmarktes ab und versucht doch selbst davon zu profitieren. Bitcoins kritisiert man, weil man sie nur halb versteht und sowieso keine besitzt.



Man macht also mehr oder weniger fröhlich mit, auch wenn die Bauchschmerzen stärker werden. Am Ende lassen einen solche Berichte auch mit ein wenig Angst zurück. Was, wenn China uns dauerhaft überholt hat, was wenn der Euroraum wieder einbricht?

Hilflosigkeit, Angst und Überforderung - als Ergebnis ist das sicherlich kaum gewollt. Gerade ARD-Börse versucht an vielen Stellen Dinge ausführlich zu erklären und herunterzubrechen. Doch auch die JournalistInnen dort können nicht verhindern, dass ein schaler Nachgeschmack bleibt. 

Die Hoffnung auf eine andere Zukunft und die Einsicht bei einer großen Zahl von Menschen, dass die Menschheit anders agieren müsste, um auch den nachfolgenden Generationen eine lebenswerte Welt zu hinterlassen, bildet sich nicht ab.

Kann sich nicht abbilden. Denn die gesellschaftlichen Diskurse dazu fehlen. Wie oben geschrieben, ein Artikel über die Stärke des Euro kann nicht dazu dienen, Kapitalismuskritik zu formulieren oder eine Debatte über die Grenzen der Kapitalakkumulation anzustoßen. Doch ihr Fehlen wird eben dort sehr deutlich. So kann es keine Verweis auf grundsätzliche Fragen geben, sondern muss bei der bloßen Analyse der Wertentwicklung einer Währung bleiben. Doch sind eben schon die Begriffe bzw. Dinge wie Währung, Wertentwicklung oder Konjunktur erklärungsbedürftig. Nicht in ihrem eigentlichen Wortsinn, sondern in ihrer gesellschaftlichen Bedeutung.

Gerade in den vergangenen Wochen wurde die Wendung "Es darf kein 'Weiter so' geben" überstrapaziert. Viele Menschen würden sagen, dies trifft auch auf die Wirtschaft zu. Nach der letzten Wirtschafts- und Finanzkrise war dies zumindest Teil einer öffentlichen Debatte. Doch die ist schneller eingeschlafen als jede Diskussion über den Jemen oder den Südsudan. 

Vielmehr wurde deutlich, dass es keine andere Botschaft als "Weiter so!" geben wird, da die Alternativen fehlen und auch zu wenig diskutiert werden. So sollte es nicht wundern, dass viele Menschen der Politik die Steuerungsfähigkeit absprechen und Wirtschaft so sehen:


Quelle: Statista

Auch diese Statistik zeigt das Dilemma. Denn diejenigen, die keine gute Meinung haben, können mutmaßlich nicht ohne weiteres eine Alternative formulieren. 

So haben es Akteure leicht, die den Blick weg von der überkomplexen und hoch dynamischen Wirtschaft auf Themen lenken, die sich scheinbar leichter durchdringen, viel stärker emotionalisieren und damit am Ende leicht instrumentalisieren lassen.

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