Mittwoch, 27. September 2017

Der Demokratie eine Darmspiegelung verpassen - AfD-WählerInnen erzählen

Die ZEIT fragte: "Warum haben Sie AfD gewählt?" Das ist natürlich löblich, wenn auch etwas spät (naheliegende Alternative für 2021: vorher fragen). An dieser Stelle wurde bereits die Frage thematisiert, ob eben nicht diese große Aufmerksamkeit, die der Partei und nun den Wählerinnen und Wählern zukommt, auch zum Erfolg der Partei führte. Da ist sicherlich etwas dran. Doch im Rahmen der Nachwehen der Bundestagswahl und der Frage: "Was wird die AfD nun machen?" ist es schon interessant, was denn die Wählerinnen und Wähler eigentlich erwarten. Und die Sitze sind nun eben auch vergeben, da kommt es auf die eine oder andere Zeile auch nicht mehr an.

Schaut man sich die Antworten genauer an, dann sind sie oft abstrus, aber teilweise auch beängstigend und traurig. Und der Beweis dafür, dass die meisten Menschen keine Kommentare im Internet hinterlassen. Zumindest stirbt die Hoffnung darauf zuletzt. Auf jeden Fall später als als die meisten Abgeordneten der AfD. Denn die sind zu 88 (hihi) Prozent Männer, die ja bekanntlich nicht so alt werden wie Frauen. Zum Beispiel Lothar Maier mit 73 Jahren, Paul Viktor Podolay mit 71 Jahren, Albrecht Glaser mit 75 Jahren, Wilhelm von Gottberg mit 77 Jahren und nicht zu vergessen, Alexander Gauland mit 76 Jahren.

Im Folgenden nun einige ausgewählte Kommentare mit Erläuterungen:


Eigentlich löblich, wenn man von den eigenen Interessen abstrahiert. Warum aus dem Umgang mit dem Dieselskandal aber die Wahl der AfD wird? Das bleibt das Geheimnis von n00track. Genauso wie der Fehlschluss hinsichtlich der persönlichen Umstände von Alice Weidel. Einzelfälle und persönliche Erfahrungen ("Ich habe einen Nachbar, der..." oder "Ich habe nichts gegen XY, denn ich habe auch einen Freund, der...") taugen einfach nicht zur Erklärung allgemeiner Phänomene.

Deutlicher kann man nicht machen, dass man ein Parteiprogramm nicht gelesen hat. Haben natürlich 95 Prozent der anderen Wählerinnen und Wähler auch nicht. Im Bereich der recht sensiblen "Rechtsradikalität" könnte ein Blick aber lohnen, anstatt sich da auf andere zu verlassen...

Weder Asylrecht abschaffen, noch DM wieder einführen - ist ja schon mal lobenswert. Doch wo kommt diese Wahrnehmung des Linkrucks her? Vom Mindestlohn, von dem man nicht leben kann? Von der Regulierung des Finanzmarktes und des Bankensektors, die nur in Nuancen stattgefunden hat? Von der massiven Reduzierung der Flüchtlingszahlen durch Asylrechtsverschärfung innerhalb eines Jahres, obwohl die Zahlen weltweit weiter steigen? Oder doch am Schluss von der "Ehe für Alle?" Letztendlich ist es dann nach Schulzexpress mal wieder die Islamisierung, mit einem (falschen) Einzelbeispiel belegt. Da wählt man halt die "Schmuddelpartei". Empfehlung: Mal reale Politikergebnisse anschauen und mit den eigenen Erwartungen vergleichen. Da bekäme #dankemerkel für den User vermutlich eine ganz andere Bedeutung (da zufrieden). 

Plain and simple. Und irgendwie halt auch am Thema vorbei. Beziehungsweise: Ist ja ok, das nicht zu wollen. Aber ist eben auch nicht der Fall (und auch nicht auf dem Weg dahin. Auch nicht 2050.) 

Oha, keine Dumpfbacke. Sondern Broder und Tichy-Fan. Nun mag es böse Zungen geben, die bei dieser Argumentation nicht mitgehen. Aber geschenkt. Interesse für Religion ist auf jeden Fall vorhanden. Ob man aber islamwissenschaftliche Diskurse an bzw. in die Wahlurne tragen sollte? Und Ayn Rand? Die sagte mal: "This god, this one word: I." Selbstzentriert, man mag es gar narzistisch nennen, und die Verherrlichung des Individualismus als Lebensphilosophie? Mmh, das könnte wieder zur Wahlentscheidung passen. Wobei, da bleibt das Völkische eben auch auf der Strecke... Außenpolitische Gründe gibt es ja aber auch noch. Keine afghanischen Zustände in Deutschland - das würden sicherlich viele Menschen (87 Prozent?) unterschreiben. 



Bemerkenswert ist die durchgehende Medienkritik und die Formel: AfD-Bashing + Toleranz-Totalitarismus = Kreuz bei der AfD, um es der Lügenpresse mal so richtig zu zeigen.  Man kann nur staunen, angesichts dieser Herleitung. Denn eigentlich bedeutet ja Toleranz im ersten Schritt etwas abzulehnen. Etwas ablehnen zu dürfen. Um es dann im nächsten Schritt zu tolerieren. Was daran totalitär sein soll, können wohl nur wenige erklären. Klar, die "Juden der neuen Zeit" sehen wir hier (ob der Post noch online ist?), da muss noch der Appell hin: "Seht ihr denn gar nicht, was wirklich vor sich geht?" Ähm doch. Um das zu sehen, lohnt manchmal auch ein Klick auf Arte beispielsweise. Aber nein, das ist ja Propaganda und Kriegshetzerei. Statt Abschottung der EU wäre auch Abschaffung der GEZ als Hauptinhalt für den Wahlkampf ausreichend gewesen. Hätte vermutlich noch mehr Stimmen gebracht.

Kritik an der Energiewende? Ok, zurückdrehen wird zugegeben parteitechnisch schwierig. Abschwächen und Anpassen geht aber auch mit anderen Parteien. Klar, als Kernkraftbefürworter steht man ohnehin eher alleine da, da lohnt sich der Blick zur AfD. Offenbar haben weiße Männer zwischen 30 und 60 die größte Kernkraftaffinität. Muss man nicht verteufeln, wirklich progressiv ist es aber eben auch nicht. Eine Liste, die sich beliebig fortsetzen lässt, ist natürlich immer praktisch.

Aus Sicht von Hessin war die Diskussion um den "Nafri" also absurd. Doch worum ging es da nochmal? Darum, dass die Abkürzung für "Nordafrikanischer Intensivtäter“ steht und polizeiintern zum Beispiel im Funkverkehr genutzt wird. Menschen, die aus Nordafrika kommen als "Nafri" zu bezeichnen, setzt diese also pauschal mit Kriminellen gleich. Wer jetzt noch eine nähere Erläuterung braucht, warum das problematisch ist? Beziehungsweise, warum es übermäßige politische Korrektheit sein soll, eine Gruppe von Menschen nicht in Kollektivhaftung zu nehmen? Die Antwort darauf sollte eigentlich nicht so schwierig sein. Im Zusammenhang mit dem Wort "Kollektiv..." hat da ja auch die AfD eine ähnliche Position. Lehnt sie ab. Dann kommen Dinge, die man diskutieren kann. Aber eben nur, wenn man jemanden gegenübersteht, der oder die nicht von Anfang an die pc-Keule schwingt. Und dass Männer, die meinen Frauen seien reine Sexobjekte, nicht tolerierbar sind? Völlig richtig. Doch was hat das (ausschließlich) mit Integration zu tun?

Deutlicher kann man nicht werden: "Der Demokratie eine Darmspiegelung verpassen" - Positiv ist da sicher das Vertrauen in die Demokratie zu sehen. Fraglich aber, ob wirklich nur die Spiegelung gemeint ist? Bei vielen anderen Wählerinnen und Wählern vermutlich eher die Darmspülung, auch Einlauf oder Klistier genannt. Die kommt oft vor der Spiegelung. Der Effekt der "inneren Reinigung" ist dabei aber nur ein Gerücht. 

Ein Dank an die "Systempresse". Auch mal nett. Von jemandem, den die Einwanderungspolitik umtreibt. Der Klassiker sozusagen. "Wild West"-Einwanderung kann natürlich nicht im Sinne der Bürgerinnen und Bürger sein, zu dreckig, zu laut und zu wenig Stellplätze für Pferde. Witzig ist, dass hier Flucht und Migration "wild" vermischt wird. Eigentlich ein oft genannter Kritikpunkt der AfD-AnhängerInnen. Aber im Herzen ist Daniela_Mo ja auch eine Grüne. Hoffentlich für sie aus dem Wahlkreis von Boris Palmer.

Tim11 offenbar auch. Und auch ein Freund der Genfer Flüchtlingskonvention. Nur dann fängt man an zu lesen und fragt sich: "Ist ja alles gut und schön, aber DER Krieg (Syrien, Afghanistan zum Beispiel) ist ja eben noch nicht zu Ende." Und je nachdem dauert der Konflikt eben länger als man glaubt. Warum dann nicht beide Seiten von der unglücklichen Fluchtsituation profitieren lassen. Also Integration, Arbeit, usw. ermöglichen? Dass Strafffällige bereits regelmäßig abgeschoben werden? Egal, schließlich ist das Pinkelwohnzimmerbild so schön.

Man liest und liest und liest und denkt: "Ok, klare Kante, harte Formulierung, aber falsche Partei Alf." Ob eine Partei "heftig" sein soll, muss man mit einem Fragezeichen versehen, dass ein Wechsel Links der Mitte möglich ist, nicht. Aber lieber eine Partei wählen, mit der niemand koalieren will, wenn man einen Wechsel will? Aber klar, die AfD stand eben unter Feuer. Oder wie Alexander Gauland es mal formulierte: "Wenn die Granaten einschlagen, steht man zusammen." Was eben auch wieder demonstriert, dass man der AfD in der Sache möglichst nicht blind folgen sollte. Zur eigenen Sicherheit.


Kein Merkel-Fan, enttäuscht von der SPD, entfremdet von den Linken. Ok, etwas anders formuliert. Hart in der Sache eben, wie man so schön sagt. Warum die Linke ihren Klassenstandpunkt verloren haben soll? Vielleicht liegt die Krux in der Annahme, dass alle Menschen gleich sind. Das Medienversagen, tja, mag sein. Unglückliches Agieren auf jeden Fall. Aber das liegt vielleicht eher im Abfeiern jeden Satzes von AfD-Funktionären, denn im Verschweigen und Propaganda verbreiten. Und die Kritik ist ja auch schon formuliert. Aber wozu damit aufhalten, "Mittäterschaft" klingt halt besser. Das dritte Argument ist jedenfalls unschlagbar: "Ich weiss nicht, ob es besser wird, wenn es anders wird. Aber es muss anders werden, wenn es besser werden soll." Muskote-Zigarettenpapier ist also auch an der Wahlurne unverzichtbarer Begleiter.

GEZ? Weg! Ansonsten eben ein demokratischer Neuanfang (dann ohne öffentlich-rechtlichen Rundfunk?) mit rechten Spinnern. Auch eine Sichtweise.



Immer gut: Mal etwas klar stellen, was eigentlich niemand in Frage stellt, wenn man nicht Anlass zum Zweifel gibt. Aber ok, ein Demokrat ist alex_hh. Da denkt man, man kriegt eine CDU-Kritik, doch drei Worte später ist man dann doch wieder bei den Asylanten. Und Rechtsextrem ist eben in Ordnung, die dürfen dann auch ins Parlament, wenn die Linksextremen in einem Haus sitzen dürfen (das dann irgendwann geräumt wird) und am 1. Mai (hauptsächlich) Randale (die Konsequenzen haben) veranstaltet werden. Da muss man eben wieder staunen und fast den Hut ziehen, wie leicht es gelingt Dinge zum Vergleich heranzuziehen, nur um dann völlig unterschiedliche Phänomene zu betrachten.


Was bleibt? Viel Kopfschütteln, auch wenn die Auswahl natürlich willkürlich und nicht repräsentativ war (mittlerweile sind mehr als 500 Kommentare gepostet worden) und die meisten Menschen Besseres zu tun haben als Onlinekommentarspalten aktiv zu bespielen. 

Gestern erschien an dieser Stelle ein Beitrag, der sich weniger Aufregung und ein wenig mehr Zurückhaltung wünscht. Die Kommentierung der Kommentare ist daher mit einem Augenzwinkern zu sehen und von der Überzeugung geprägt: Menschen sind keine Wölfe, keine Rassisten (wenn sie sich selbst reflektieren) und getrieben von eigenen Ängsten, die nichts entschuldigen, aber erklären. Daher zum Schluss vielleicht noch ein Beitrag, der ein wenig bestärkender ist und dennoch keinen Glückskekscharakter besitzt. Veröffentlicht hat ihn Nasser Ahmed, SPD-Stadrat in Nürnberg


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