Sonntag, 14. August 2016

Die "Insel des Datenschutzes" und der steigende Meerespiegel

Offenbar planen Deutschland und Frankreich eine internationale Initiative zur Entschlüsselung verschlüsselter Kommunikation. Genaue Inhalte oder eine Stellungnahme gibt es von deutscher Seite nicht, doch der französische Innenminister äußerte sich überzeugt davon, dass es künftig zu dieser Koalition kommen werde:
Viele Nachrichten bei der Vorbereitung von Terrorattentaten seien verschlüsselt, sagte der französische Innenminister. Eine internationale Aktion sei erforderlich, da ein Land nicht allein die Initiative übernehmen könne. Frankreich habe bereits eine Reihe von Vorschlägen an die deutsche Regierung übersandt. Wie diese lauten, sagte er nicht. Islamistische Attentäter sollen zur Vorbereitung ihrer Taten in Frankreich unter anderem den Messengerdienst Telegram benutzt haben.
Deutschland gerierte sich bisher als eine "Insel des Datenschutzes" und nach der Digitalen Agenda er Bundesregierung, solle das Land "Verschlüsselungs-Standort Nr. 1 auf der Welt" werden. Wie passt das zusammen? Und noch wichtiger, adressiert diese Initiative die richtigen Fragen und macht am Schluss das Leben der Bürgerinnen und Bürger sicherer?

Unser Leben spielt sich mittlerweile zu großen Teilen in der digitalen bzw. virtuellen Welt ab. Fehlende Privatsphäre wird dadurch zu einem realen Teil unserer Existenz. Die Überwachung dort wirkt sich schon heute auf unser "echtes" Leben aus (es stellt sich die Frage, inwiefern diese Entscheidung überhaupt noch Sinn macht). Einschränkungen sollten also gut begründet werden. Bildquelle: Pixabay
Werfen wir einen Blick auf einen der vielen Kommentare nach den Anschlägen von Paris vom November des vergangenen Jahres. Dort kamen viele JournalistInnen oder ExpertInnen zu dem Schluss, die Attacke habe gezeigt, dass die Verschlüsselung ein zentrales Problem sei. Ein Beispiel aus dem WDR-Blog Digitalistan:
Längst ist bekannt, dass der IS den Messenger-Dienst Telegram nutzt, um seine Propaganda zu verteilen. Größte Qualität von Telegram: Man kann Nachrichten bequem und sicher verschlüsseln. Die Nachrichten werden Ende-zu-Ende-verschlüsselt, was sie praktisch abhörsicher macht. Ein Traum für Straftäter – ein Albtraum für Behörden. Dieser Tatsache muss man ins Auge schauen und sie auch so benennen.
Diese Meinung hat sich nach den anderen Terrorakten 2016 verfestigt. Es stimmt, diese Tools können auch für diese Zwecke benutzt werden. Doch klar ist auch, dass sie für eine umfassende Radikalisierung nicht geeignet sind. Vor allem sind die Wege zu vielfältig, auf denen mittlerweile miteinander kommuniziert werden kann. Auch wird das Ausmaß gerne übertrieben, ähnlich wie beim "Darknet".

Man kann die Sache ja auch mit dem Recht auf Waffen vergleichen. Es ist richtig, dass nicht die Waffe jemanden tötet, sondern der- oder diejenige, die abdrückt. Allerdings haben Waffen keinen anderen Zweck als zu töten oder ein Hobby für eine kleine Gruppe zu sein. Insofern bieten sich hier drastische Einschränkungen an, um das Problem zu adressieren. Bei der Kommunikation stellt sich dies völlig anders dar. Moderne Kommunikationsmittel sind die Grundlage für jede gesellschaftliche und wirtschaftliche Entwicklung und haben eine solche weitreichende und heterogene Bedeutung erlangt, die es notwendig macht jede Einschränkung detailliert zu rechtfertigen und auf Plausibilität (was die Wirksamkeit angeht) und Folgen zu untersuchen.

Deswegen greift der weitere Kommentar von Jörg Schieb sehr kurz, wenn er ein Verbot der Verschlüsselung als einzige Möglichkit für die Behörden Terrorismus effektiv zu bekämpfen, darstellt: 
Man kann es den Behörden wirklich nicht übel nehmen, dass sie das wünschen, denn anderenfalls sind ihnen komplett die Hände gebunden. Dass in einem höchst-richterlich angeordneten Fall die Verschlüsselung eines Anschlusses geknackt wird, ist zweifellos ein geringerer Eingriff in die Privatsphäre als eine anlasslose Massenüberwachung.
Kritisch ist auch, dass ein Verbot der Entschlüsselung gegen die Vorratsdatenspeicherung gestellt wird. Denn das Problematische ist ja, dass die Initiativen auf politischer Ebene hier Hand in Hand gehen. Das heißt ein Verbot verschlüsselter Kommunikation bei gleichzeitiger umfassender Speicherung.  

Nochmals an dieser Stelle: Es gibt schier unendliche Möglichkeiten auf andere Kanäle auszuweichen. Seien es Verabredungen in World of Warcraft, oder die Nutzung der Playstation 4. Oder eben direkte Anwerbungsversuche. Es ist eine Illusion zu glauben, dass es genügt Nachrichten von Telegram mitlesen zu können und damit Terror zu verhindern. Und diese langfristig zu speichern verhindert Anschläge erst recht nicht.  

Außerdem haben die vergangenen Monate gezeigt, dass aufgrund der Bereitschaft einzelner Personen oder kleiner Gruppen Anschläge zu begehen eine detaillierte Kommunikation nicht mehr unbedingt notwendig ist. Der sog. "Lonely Wolf" als Alptraum aller Sicherheitsbehörden ist zum Teil Realität geworden.

Was bedeutet das nun? Der Terrorismus hat gewonnen? Nein. Nicht, wenn die Vernunft und der Schutz der Bürger- und Freiheitsrechte dominieren. Die Niederlage droht, wenn Ängste und Sorgen der Bevölkerung als Realität aufgefasst und Versprechungen auf schnelle Lösungen gemacht werden.

Ja, Sicherheitsbehörden müssen Instrumente zu effektiven Terrorbekämpfung erhalten. Dies können (zertifizierte) Trojaner sein, die eine Erfassung von Kommunikation vor der Verschlüsselung zulassen, oder die Speicherung von Inhalten Einzelner nach richterlichem Beschluss über bestimmte Zeiträume. 

Aber nein, es ist höchst fraglich, ob der Abschied der Privatsphäre und die dauerhafte und massive Erfassung der Daten aller Bürgerinnen und Bürger (was ja bereits Realität ist und es eigentlich darum gehen sollte, diese Entwicklung zurückzudrehen) dazu notwendig sind. Denn nun sind wir bei der eigentlichen Kernfrage: Wie lässt sich Terror effektiv bekämpfen?
Even if ISIS loses all of its territory in Syria and Iraq, the global jihadi archipelago could continue to expand if the social and political conditions that have led to its emergence continue to persist.
Das schrieb Scott Atran in The New York Review of Books nach dem Anschlag in Nizza. Er wies darauf hin, dass eben in Frankreich (und auch Belgien) die sozialen Strukturen eine Radikalisierung und Rekrutierung besonders "leicht" machen. Und macht deutlich, wie Terrorgruppen wie der IS sich den Entwicklungen und Bemühungen nach 2001 eben einfach angepasst hätten. Vor allem - und hier kommt der entscheidende Teil der Debatte - weist er darauf hin, dass eine digitale Rekrutierung gar nicht notwendig sei. Sie erfolge zumindest teilweise autonom oder eben im Irak oder in Syrien. 

Es handelt sich also in erster Linie um eine (sicherheits-)politische Frage. Die Konflikte im Irak, in Syrien, aber auch in Libyen, Jemen, Somalia, im Kaukasus, oder sogar die Nachwirkungen scheinbar vergangener Konflikte, wie im Kosovo der Fall - sie alle sind ein entscheidender Teil des Problems. Nun ist man also bei den Konfliktursachen angekommen. Zusammen mit Fragen der Deprivation (siehe hier, Seite 128) ergibt sich die Notwendigkeit Lösungen für Konflikte zu suchen und künftige zu verhindern. Atran drückt das so aus:
Although military defeat in Iraq, Syria, and Libya could help make it more difficult for the group to recruit, we will not be able to defeat ISIS itself until we find a way to reconnect the neighborhoods, online communities, and other particularly susceptible social and political settings where attacks like what occurred in Nice continue to find inspiration and support.
Bevor nun der Vorwurf des "naiven Gutmenschentums" laut wird: eine Überprüfung des Verhältnisses zwischen technischen Möglichkeiten von Militär und Sicherheitsbehörden und der Zahl von Terroranschlägen würde interessante Ergebnisse liefern. Genauso wie die Frage, wie Konflikte und Anschlagszahl zusammenhängen. Die Warnungen von Nachrichtendiensten und Polizeien ernst zu nehmen, heißt, eine Außenpolitik voranzutreiben, die auf Ausgleich und globales wirtschaftliches Zusammenwachsen und nicht auf die einseitige Durchsetzung geostrategischer Interessen und Handel- und Finanzstrukturen, die nur wenigen nutzen, bedacht ist.

Wenn der digital Wandel weitergehen soll, dann kann er das vermutlich nur mit effektiver Verschlüsselung. Ansonsten sind eine Industrie 4.0 und voll vernetzte Smarthomes nur schwer vorstellbar. 

Das Bild der deutschen "Insel" was den Datenschutz angeht, mag im internationalen Vergleich sogar stimmen. Doch die Entwicklungen der vergangenen Monate zeigen auch, dass der "Klimawandel" nicht nur real ist, sondern der Meeresspiegel bereits steigt.

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