Sonntag, 3. Januar 2016

"Effektives Spenden": Lobenswertes Ziel und ein Missverständnis

Ein interessanter Text im Süddeutsche Magazin beschäftigt sich mit der Frage "effektiven Spendens". Dabei deckt er gleichzeitig ein großes Missverständnis der Aktivisten auf:
Gleave ist 22 Jahre alt, eigentlich wollte er Programmierer werden, aber dann kam er im Studium mit den Effektiven Altruisten und Will MacAskill in Kontakt. »Ich wollte Gutes tun. Aber in der Entwicklungshilfe wäre ich ersetzbar, dort könnten viele meinen Job machen.« MacAskill riet ihm, sich einen Job in der Finanzbranche zu suchen. »Dort sind meine Fähigkeiten ziemlich gefragt«, sagt Gleave – wobei MacAskills Argument ein anderes war: Wenn Gleave sein Leben lang einen Teil seines Gehalts spende, könne er mit dem Geld mehr Gutes tun, als er es je mit seinen eigenen Händen schaffen würde. »Earning to Give« nennt sich diese Version des Effektiven Altruismus.
So viel zu verdienen, um die negativen Effekte des eigenen Handelns innerhalb des aktuell existierenden Finanzsystems aufzufangen, scheint schwierig. Die Stützung eines Handels- und Wirtschaftssystems, das auf der Asymmetrie zwischen Nord- und Südhalbkugel beruht bzw. sehr gut daran verdient, zerstört viele Erfolge, die durch Mittel der Entwicklungszusammenarbeit und -hilfe erzielt werden. Das bedeutet nicht, dass Spenden schlecht ist und der im Artikel dargestellte Ansatz völlig falsch. Aber ohne politische Agenda, die Kohärenz von Politikfeldern, also eine ganzheitliche Betrachtung des politischen Handelns, und echte Veränderungen fordert, bleiben die Anstrengungen zum Teil statistische Spielerei.




Vor allem könnten die Macher darüber nachdenken, eine Art "Negativliste" von Berufen zu erstellen, die jegliche Bemühungen Menschen in einem globalen Maßstab zu helfen, untergraben, weil sie mitverantwortlich sind, dass Spenden überhaupt notwendig sind oder bleiben. Schließlich kommt auch ein teilweise schiefes Weltbild der Gründer zum Vorschein:

Statt sich mit philosophisch brisanten Fragen wie der Verteilungsungerechtigkeit herumzuschlagen, ziehen Effektive Altruisten wie Will MacAskill lieber Studien aus der Tasche und folgen den Zahlen.
Doch auch Berechnungen der Effektivität des Mitteleinsatzes stoßen an ihre Grenzen, oder werden wie gesehen durch (versteckte) intervenierende Variablen beeinflusst. Bei einer konkreten Spende ist es natürlich wichtig sich Gedanken zu machen, wofür man diese überhaupt spendet. Und damit letztlich über deren effektiven Einsatz. Doch wer Verteilungs- und Gerechtigkeitsfragen ausblendet, der vernachlässigt die langfristige Perspektive des Ganzen: Das Ziel einer Welt, die nicht auf bloßem Altruismus und Wohltätigkeit beruht, sondern auf echter Verteilungsgerechtigkeit. Die nicht auf historisch gewachsenen Ungleichheiten aufbaut, sondern auf der Frage, wie wir gemeinsam und menschenwürdig auf diesem Planeten leben können, ohne unsere Lebensgrundlage oder die anderer Menschen zu zerstören.

Dazu bedarf es eines effektiven und vernunftbasierten Handelns, aber auch der Abkehr von einem Menschenbild des homo oeconomicus, das als wirtschaftspolitisches Mantra herhalten muss ohne sich unter realen Bedingungen als belastbar erwiesen zu haben und oftmals als Rechtfertigung dient, Einfühlungsvermögen, Mitgefühl, Empörung und die Sehnsucht nach Veränderung auszublenden.

1 Kommentar:

  1. Vielen Dank für den Artikel!

    Der SZ-Artikel stellt den effektiven Altruismus in einigen Punkten nicht gut dar. Ich lege Ihnen die Lektüre dieses FAQs zum effektiven Altruismus nahe: http://ea-stiftung.org/effektiver-altruismus/faq/ sowie insbesondere die Antwort auf die Frage, ob man nicht besser strukturelle Maßnahmen treffen statt spenden sollte:

    "Es ist grundsätzlich empirisch zu erforschen, welche Maßnahmen letztlich am meisten bewirken. Es ist möglich, dass strukturelle, systemische Interventionen den höchsten altruistischen Erwartungswert aufweisen. Betrachten wir zunächst die von GiveWell empfohlenen Organisationen, so ist festzustellen: Sie retten nachweislich Menschenleben, und dies sehr kosteneffektiv. Die Verteilung von Anti-Malaria-Bettnetzen etwa rettet nach den aktuellsten Schätzungen (beruhend auf randomisiert-kontrollierten Studien) für $3’400 ein Menschenleben. Selbst wenn der Begriff “Symptombekämpfung” in gewisser Hinsicht zutreffend wäre, sollte dieser Aspekt keinesfalls ignoriert werden: Wann immer wir uns entscheiden, etwas anderes zu tun als direkt Menschenleben zu retten (die ohne unseren Ressourceneinsatz sterben – wir entscheiden nolens volens über Leben und Tod), müssen wir uns hinreichend sicher sein, dass unsere Handlungsalternative mehr bewirken wird, als die ethischen Opportunitätskosten etwa im Malaria-Bereich bewirkt hätten. Direkte Hilfsinterventionen aber als “reine Symptombekämpfung” zu bezeichnen, wäre unangemessen: Die GiveWell-Empfehlungen haben zumeist positive Langzeitfolgen, beispielsweise nachweislich höhere Anwesenheitsraten an Schulen, bessere Bildung und höheres Einkommen danach – das führt auch zu einem politischen Empowerment vor Ort. Zudem ist es u.a. nicht der Fall, dass evidenzbasiert ausgewählte Interventionen die “Überbevölkerung” verschärfen, im Gegenteil. Die MIT-Professorin Esther Duflo hat bei diesen entwicklungsökonomischen Fragestellungen Pionierarbeit geleistet:

    Politisch-struktureller Aktivismus ist risikoreicher: Ob “systemverändernde Maßnahmen” politisch durchkommen, und (falls ja) ob die erhoffte, großflächig positive Wirkung tatsächlich eintritt, ist schwieriger abzuschätzen. Dies bedeutet selbstredend nicht, dass es nicht optimal sein kann, strukturelle Projekte in Angriff zu nehmen bzw. an solche zu spenden – sie können ja trotz geringerer Erfolgswahrscheinlichkeit einen höheren Erwartungswert aufweisen, weil jeweils mehr auf dem Spiel steht. Es bedeutet lediglich, dass die Frage “Direkthilfe vs. Systemveränderung” keine unmittelbar offensichtliche Antwort hat und dass die relevanten empirischen Daten im Einzelfall zu prüfen sind. (Viele effektive Altruisten/innen unterstützen beispielsweise Open-Borders-Politiken oder Sentience Politics.)

    Die EA-Bewegung wählt in dieser Frage insgesamt einen Mittelweg: Einerseits hält sie es für wichtig, mit signifikantem Ressourceneinsatz direkt zu helfen (und die entsprechenden Projekte zu evaluieren, so dass wir mehr Informationen über deren Effektivität erhalten, was unsere künftigen Entscheidungen verbessert). Andererseits investiert sie auch viel in gesellschaftlich-politische Bewegungsbildung sowie in ethisch hochrelevante Forschung, was zwar spekulativer ist, längerfristig aber noch viel mehr bewirken könnte. Bewegungsbildung und Forschung werden als “Meta-Charity” klassifiziert: Man hilft nicht direkt, sondern hilft zunächst unseren Hilfskapazitäten, die (wenn die Strategie aufgeht) danach um ein Vielfaches höher sind. Unser Projekt Raising for Effective Giving (REG) verfolgt diesen Ansatz: Es konnte mit Seed-Spenden von $50’000 gestartet werden und hat im ersten Jahr seines Bestehens (durch EA-Bewegungsbildung unter professionellen Pokerspielern) mehr als $500’000 an Spendengeldern für menschen- und tierrechtliche Organisationen generiert. Die $50’000 hätten natürlich auch gleich direkt an eine menschen- oder tierrechtliche Organisation fließen können – doch das hätte weniger bewirkt als die Spende an den EA-Multiplikator REG."

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