Montag, 31. März 2014

Zahlen zu toten EU-Flüchtlingen werden belastbarer - und steigen

Bisher wurden bei der Zahl der Menschen, die bei dem Versuch nach Europa zu gelangen umgekommen sind, höchst unterschiedliche Schätzungen genannt. So ging man davon aus, dass zwischen 8.000 und 20.000 Menschen seit 1988 bis heute an europäischen Grenzen oder auf dem Weg dorthin gestorben sein sollen. Jedoch existierten Hinweise, dass es eine weitaus höhere Zahl sein könnte. So können beispielsweise Konflikte oder Ressourcenknappheit phasenweise die Mortalitätsrate unter den flüchtenden Menschen erheblich erhöhen.

Ein neues journalistisches Projekt hat nun erneut versucht alle Opfer der Migrationsbewegungen zu erfassen und damit die tatsächliche Dimension aufzuzeigen, die weit über Lampedusa hinaus geht:
Wie eine Gruppe europäischer Journalisten in dem mehrmonatigen Projekt "The Migrants Files" recherchiert hat, sind seit 2000 mehr als 23.000 Menschen gestorben oder gelten als vermisst. Gezählt wurden allerdings nicht nur Fälle, die unmittelbar mit der Flucht zu tun hatten, sondern alle Todesfälle von Flüchtlingen, die entweder auf dem Weg nach Europa waren oder sich bereits in einem der Länder aufgehalten haben.
Vergleicht man diese Zahl mit den oben Genannten wird deutlich, dass die bisherigen Schätzungen zu niedrig liegen. Die neuen Daten wurden auch visuell aufbereitet:



Die Macher der Studie schreiben hinsichtlich methodischer Fehler, dass möglicherweise einige Opfer doppelt gezählt wurden, weisen aber auch darauf hin, dass unter dem Strich eher das Gegenteil der Fall sein dürfte:
Beyond duplicates, some individuals had been registered as missing, say, identified by survivors of a shipwreck. If a body washes ashore in another location days or weeks later, it is virtually impossible to assign it to an earlier incident. And some fatal incidents have not been reported in any form. [...] The true numbers of dead are doubtless higher than recorded.
Neben den wenigen offiziellen Statistiken und wissenschaftlichen Studien ergaben sich Hinweise auf deutlich höhere Zahlen als die Schätzungen der EU und von Frontex aus einem Artikel der Frankfurter Rundschau aus dem Jahr 2009. Diese lägen noch weit höher als die neuen Zahlen:
Flüchtlinge, die mit dem Boot übers Mittelmeer nach Europa wollen, haben nur eine 75 %ige Überlebenschance. Im Schnitt ertrinkt jeder Vierte von ihnen. Das sei eine Schätzung der französischen Geheimdienste, berichtete die französische Zeitschrift L’Express.
Geht man von etwa 166.000 Flüchtlingen seit 2008 aus, welche die Route über das Mittelmeer wählten und legt oben genanntes Schema an, dann kommt man alleine seit 2008 auf eine ungefähre Zahl von 40.000 Toten. Dies mag zu hoch gegriffen sein. Doch auch die neue Studie dürfte kaum das tatsächliche Ausmaß dokumentieren, dazu sind die Vorfälle zu weitreichend und zahlreich und die Behörden der betroffenen Länder zu schwach oder mittelbar an den Todesfällen beteiligt.

Die neuen Zahlen legen also eine nahezu doppelte Anzahl an Opfern seit 1990 nahe als bisher offiziell verwendet. Die etwas grobe Herangehensweise des französischen Geheimdienstes was eine Schätzungen angeht, sollte die Ernsthaftigkeit derselben nur bedingt einschränken. Eine vollständige Erfassung aller Menschen, die bei dem Versuch das Mittelmeer zu überqueren ertrunken sind, ist jedenfalls nicht möglich.

Diese extreme Situation lässt sich nicht nur mit Mitteln der Entwicklungszusammenarbeit und mit nation building-Prozessen in den jeweiligen Emigrationsländern mildern, sondern bedarf einer EU-weiten Veränderung der Migrationspolitik. Ohne sie werden die Zahlen in Zukunft vermutlich weiter steigen.

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