Mittwoch, 9. Januar 2013

Die zwei Seiten des Syrienkonflikts: eine bloße Dämonisierung hilft nicht weiter

Über den Konflikt in Syrien erscheinen täglich neue Artikel in allen Zeitungen. Der Tenor folgt dabei dem Kommentar von Paul-Anton Krüger von der SZ:
Baschar al-Assad hat klargemacht, dass er Syrien als Besitz der Familie betrachtet. Bei seiner Rede in Damaskus zeigt er ein Maß an Verblendung und Bigotterie, das Schlimmes, noch Schlimmeres für das geschundene Land erwarten lässt. 
An dieser Stelle deshalb nur einige Hinweise auf Texte, die der Auseinandersetzung eine andere Perspektive hinzufügen. Über die Sicht der Rebellen erschien vor einigen Tagen ein Post, im Folgenden nun einige Links, welche die Dämonisierung des Assad-Regimes hinterfragen.

Hans-Christof Kraus hat den Lehrstuhl für Neuere und Neueste Geschichte an der Universität Passau inne und schrieb schon im Juli des vergangenen Jahres in der FAZ:
Man kann nur staunen über das Ausmaß an fast schon sträflicher Naivität oder auch nur schlichter Ignoranz, das viele Beurteiler der Syrien-Krise an den Tag legen, vor allem, wenn es darum geht, die Hintergründe für das zähe Tauziehen im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen zwischen Amerika und den westlichen Mächten einerseits, Russland und China andererseits aufzuhellen. Folgt man der Darstellung des Konflikts in weiten Teilen der westlichen Welt, dann scheint es sich lediglich um die Frage zu handeln, ob es gelingt, die syrische Bevölkerung von einem blutigen Diktator zu befreien.
[...]
Dabei geht es um vollkommen andere Probleme. Die Konfliktlinien verlaufen dort, wo sie von fast allen deutschen Beobachtern nicht einmal mehr wahrgenommen werden, und zwar vor allem deshalb, weil man in unserem Land verlernt hat, in weltpolitischen und geostrategischen Kategorien zu denken.
Der Journalist Franklin Lamb hat die aktuelle Rede des syrischen Präsidenten im Opernhaus von Damaskus beobachtet, skizziert den dort neu aufgetauchten Plan (Einstellung der ausländischen Finanzierung, Rückzug der staatlichen Truppen, Bildung einer Mehrparteienregierung) und macht deutlich, dass Assad eben nicht jegliche Unterstützung verloren hat:
Following his presidential address to the nation, one local journalist, who is sometimes critical of the regime, elaborated--in answer to my question about Assad’s apparent enduring popularity during this tragic period for people of Syria:  “It’s true. And it’s partly due to the fact that he is modest, even humble--and well-educated in contrast to some regional monarchs who are essentially illiterate and uninterested in the world outside their fiefdoms palaces.”
[...]
One Congressional staffer on the US Senate Foreign Relations Committee emailed late today that the Obama administration may well be willing to accept Bashar Assad’s “Damascus Opera House” formula given the fast changing geopolitical reality the region and the military stalemate on the ground in Syria. Both facts suggesting that there is no realistic alternative to the current elected government or that there is much of a realistic prospect that the regime will throw in the towel or collapse anytime soon.
Wer sich selbst einen Eindruck verschaffen will, im folgenden Video findet sich die gesamte Ansprache mit Simultanübersetzung:



Karin Leukefeld schrieb für die junge welt:
Mit den Vorschlägen für Versöhnung, eine neue Verfassung und Neuwahlen habe die Rede einige positive Aspekte gehabt, sagte demgegenüber der Politikprofessor und frühere Präsidentenberater George Jabbour in Damaskus gegenüber jW. Vermutlich würden aber die verschiedenen Gruppen der Opposition das nicht akzeptieren. Für ein Ende der Kämpfe bedeute die Ansprache keinen Durchbruch. Jabbour vermutete, daß der Präsident sich vor einem erneuten Treffen der USA und Rußland habe äußern wollen, das Mitte Januar in Genf stattfinden soll. Er appellierte an US-Präsident Barack Obama und den russischen Präsidenten Wladimir Putin, gemeinsam zum Waffenstillstand in Syrien aufzurufen. »95 Prozent werden sich daran halten, und die anderen fünf Prozent werden zwei Tage später mit dem Kampf aufhören«, zeigte sich Jabbour überzeugt. »Alle Syrer wollen ein Ende des Blutvergießens.«
Der chinesische Politikwissenschaftler Yin Gang schätzte die Rede folgendermaßen ein:
„Die Rede von Bashar al-Assads wird mit Sicherheit auf starke Kritik der Oppositionellen stoßen. Die Mitglieder des Golfkooperationsrats, die Türkei, die NATO und die USA werden diese Initiative ebenfalls nicht befürworten. Dennoch beinhaltet diese Initiative auch etwas Positives. Bashar al-Assad hat im Wesentlichen die Verfassungsrevision und Wahlergebnisse des letzten Jahres aufgehoben und zeigt sich bereit, Neuwahlen durchzuführen. So wird ein gewisser Raum für einen ordnungsgemäßen Abgang Bashar al-Assads von der politischen Bühne gelassen. Die Öffentlichkeit sollte auch diese positive Information zur Kenntnis nehmen."
Der ehemalige libanesische Präsident Emile Lahoud - der zwar als pro-syrisch gilt, während seiner Amtszeit aber breite internationale Anerkennung erfuhr - sagte in der libanesischen Zeitung Daily Star:
Former President Emile Lahoud, however, saluted Assad’s speech as “confident” and a preservation of Syria’s sovereignty. In a statement from his office, Lahoud said Assad had “illustrated the framework of the plan he has reached to resolve the Syrian crisis in a way that preserves, in form and content, the sovereignty and sacrifices of the Syrian people and the valiant Syrian army.”
Um es noch einmal deutlich zu machen, dies soll keinesfalls die Brutalität des Regimes verharmlosen. Kriegsverbrechen werden offenbar aber auf beiden Seiten verübt. Zudem muss deutlich kritisiert werden, dass das Assad-Regime die von Teilen des Volkes unterstützte nationale Opposition so massiv bekämpft. Dies wird sich noch als schwerer Fehler erweisen. Auch soll an dieser Stelle nochmals nachdrücklich auf die offiziellen kritischen Stellungnahmen aus aller Welt verwiesen werden, auch auf kritische Reaktionen aus Syrien selbst. 

Desweiteren könnten sich die gewollten Grenzverletzungen noch als gefährliche regionale Zündelei erweisen. Ein Einsatz von chemischen Waffen wäre ohne Frage ein unverzeihlicher Schritt und würde die Dynamik des Konflikts noch einmal schlagartig verändern. Die einseitige Berichterstattung und jegliches Fehlen anderer Meinungen sind aber trotzdem überaus gefährlich und könnten den Bürgerkrieg weiter eskalieren lassen, obwohl vielleicht politische Optionen noch nicht ausgeschöpft sind.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen