Freitag, 16. März 2012

Selbstmord von Soldaten als Kriegsfolge: Tabu für Bundeswehr und Gesellschaft

Während die US-Armee vermehrt Zahlen zu Selbstmorden ihrer Soldaten und Reserveeinheiten veröffentlicht und von den Medien vor allem Suizide von Veteranen thematisiert und mit Zahlen unterlegt werden, bietet sich in Deutschland ein gänzlich anderes Bild. Auch wenn mittlerweile etwa 300.000 Soldaten der Bundeswehr im Auslandseinsatz waren. Auch wenn die Belastungen der Soldaten offenbar ständig ansteigen und die Zahl der posttraumatischen Störungen weiter zunimmt. 

Im Folgenden der Versuch einige Zahlen zu diesem Thema darzustellen. Eine Selbstmordstatistik veröffentlicht das Bundesverteidigungsministerium zwar, doch darüber hinaus werden die psychischen und körperlichen Folgen der Kriegseinsätze eher stiefmütterlich behandelt.

Absolute Suizidzahlen im aktiven Dienst gesunken - trotzdem mehr Selbstmorde als Tote im Kampfeinsatz

Ist solch eine Aufarbeitung nicht vielleicht gerechtfertigt? Denn absolut gesehen ist die Zahl der Selbstmorde unter aktiven Soldaten deutlich gesunken, wie folgende Grafik zeigt:


Vergleicht man 1978 und 2011 so gab es im vergangenen Jahr nur ein Zehntel der Selbstmorde. Zwar ist diese Interpretation lückenhaft, berücksichtigt sie doch nicht die absolute Truppenstärke. Denn auch die ist in den vergangenen Jahrzehnten erheblich gesunken:




Die Selbstmordrate ist aber tatsächlich niedriger, als noch vor einigen Jahrzehnten. Von ca. 20 bis teilweise 40 pro 100.000 Personen in den 1980er Jahren fiel sie auf 8 - 10 pro 100.000 Soldaten in den vergangenen Jahren. Damit liegt sie unter dem bundesdeutschen Schnitt von ca. 11 Suiziden pro 100.000 Einwohnern.

Festzuhalten bleibt bei diesen Zahlen aber, dass seit 2002 (und damit auch seit Beginn des Afghanistan-Einsatzes) 262 Soldaten in Folge der Ausübung ihres Dienstes getötet wurden (diese Zahlen beinhalten auch Unfälle o. ä.). Im gleichen Zeitraum (2002 - 2011) nahmen sich 276 aktive Soldaten das Leben. Insgesamt jeder Fünfte im Auslandseinsatz gefallene Soldat soll Selbstmord begangen haben. Diese Zahlen sind aber eben noch kein Beleg für eine überdurchschnittliche Selbstmordrate von aktiven Bundeswehr-Soldaten. Sie beziehen sich auf eine zu kleine Gesamtmenge. Doch liefern sie zum Teil Hinweise auf die seelischen Folgen eines Krieges. Auch für vermeintlich gut ausgebildete Soldaten einer technisierten und hochgerüsteten Armee.

Kaum beachtete Kriegsfolgen

Bei der Betrachtung dieser offiziellen Zahlen wird die entscheidende Frage aber überhaupt nicht gestellt: Welche Langzeitwirkung entfalten Kriegseinsätze bei den Soldaten? Zahlen zu den Folgen der Einsätze über den Dienst hinaus gibt es jedoch keine. 

Wie in den USA, wo 20 Prozent der gesamten Selbstmorde des Landes von Veteranen verübt werden und viele dieser Suizide als Langzeitfolgen des soldatischen Dienstes gesehen werden, so liegt die Vermutung nahe, dass dies auch bei der Bundeswehr (trotz anderer Versorgungs- und Sozialstrukturen) eine Rolle spielen könnte.

Im aktuellen Wehrbericht wird das Wort Selbstmord (oder Suizid bzw. Selbsttötung) dennoch in diesem Zusammenhang kein einziges Mal erwähnt. Obwohl der Sanitätsdienst der Bundeswehr für das Jahr 2011 einen erheblichen Anstieg an traumatisierten Soldaten meldet. Demnach haben sich letztes Jahr 922 Betroffene wegen einer Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) nach einem Auslandseinsatz in einem Bundeswehrkrankenhaus behandeln lassen, 26% mehr als noch ein Jahr zuvor. Davon seien 759 PTBS-Erkrankte in Afghanistan im Einsatz gewesen. Die Erkrankung soll das Selbstmordrisiko deutlich erhöhen

Anzumerken ist bei diesen Zahlen, dass die Deutsche Kriegsopferfürsorge (DKOF) auf erhebliche Widersprüche bei den gemeldeten Zahlen hinweist. Zudem wird kritisiert, dass weder über Langzeitfolgen, noch über konkrete Verbesserungen bei der Nachsorge aussagekräftige Studien existieren. 

Im Januar 2010 konstatierte der damalige Wehrbeauftragte der Bundesregierung, Reinhold Robbe, angesichts der Einrichtung eines bundeswehreigenen Kompetenzzentrums: 
Was hier in Berlin geschaffen wurde, ist eine angeflanschte Abteilung beim Arbeitsmedizinischen Institut, das jetzt schon unterbesetzt ist und Probleme hat, seine eigenen Aufgaben wahrzunehmen." Benötigt werde vielmehr "ein selbstständiges Institut für die Prophylaxe, Behandlung und Nachsorge sowie insbesondere für die Erforschung von Posttraumatischen Belastungsstörungen und Posttraumatischen Verhaltens- auffälligkeiten.
Konsistente und fundierte Schlussfolgerungen erweisen sich in diesem Zusammenhang trotzdem als extrem schwierig. Zu wenig wird die Opferrolle von denen thematisiert, die sich bewusst für einen Kampfeinsatz entschieden haben. Nicht nur dem Militär, auch der Gesellschaft fällt es schwer sich damit auseinanderzusetzen. Für Deutschland mag dies zum Teil noch mehr Gültigkeit haben, als in den USA, wo das Wort Veteran kaum negative Assoziationen zu wecken vermag. 

Dabei muten die Zweifel und die oftmaligen Schwierigkeiten der Soldaten eine Anerkennung der Kriegsfolgen zu erreichen befremdlich an, gerade wenn unerwartete und belastende Einsatzbedingungen zu bewältigen sind. In einer Dissertation der FU Berlin aus dem Jahr 2011 heißt es:
Möglicherweise muss die psychische Belastung durch Auslandseinsätze im Hinblick auf das Suizidalitätsrisiko daher differenzierter bewertet werden. Auslandseinsätze mit geringerem militärischem Risiko (z.B. „Peacekeeping Missions“) schienen sich nicht als Prädiktor suizidalen Verhaltens auszuwirken, dagegen ergaben sich aber Hinweise auf eine Bedeutung einer unzureichenden Einsatzvorbereitung, sowie besonderer qualitativer Erlebnisinhalte eines Einsatzes (z.B. Erleben von Gräueltaten).
Dies bedeutet, dass in der konkreten Studie zwar keine Ergebnisse zu einer erhöhten Selbstmordrate von Veteranen vorliegen (da sie sich auch nur mit aktiven Soldaten befasst), es aber durchaus wissenschaftliche Anzeichen dafür gibt, dass die Qualität von Kriegserlebnissen das Selbstmordrisiko (gemeinsam mit sozialen Faktoren, wie Beziehungen, Beschäftigungsmöglichkeiten usw.) beeinflussen. 

Nur wenige Artikel beziehen diese Problematik auch auf ehemalige Angehörige der Bundeswehr, sprechen in diesem Zusammenhang aber von einer gewissen "Absehbarkeit", da eben die Erkenntnisse aus den USA, trotz der nicht möglichen direkten Übertragbarkeit, grundlegende Muster aufzeigen. 

Zurückhaltende Interpretationen mögen berechtigt sein, auch der bewusste Umgang mit den unterschiedlichen gesellschaftlichen Strukturen, wenn man die USA und Deutschland vergleicht, sowie die Frage nach der tatsächlichen Beschaffenheit der Kampfeinsätze. Doch schon diese kurze Annäherung macht deutlich, wie die Realität des Krieges in jedes Individuum dringt. Dort tiefe Wurzeln schlagen kann und manchmal auch unheilbare Wunden.

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